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Kapitul
Kunst am Bau
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin
Entwurf
2017





 

Konzeption


Ort     Der Neubau des Ministeriums für Arbeit und Soziales (im Folgenden Ministerium genannt) liegt an einem historischen Ort intensiver Machtausübung. Der direkt vor dem Ministerium gelegene und zwischenzeitlich bebaute Wilhelmplatz war in verschiedenen Epochen als Machtzentrum deutscher Politik verstanden werden. Die Reichskanzlei lag dort. Am Ort des Neubaus selbst lag das Leopoldpalais, das Göbbels als Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda diente. Durch die Lage des Neubaus des Ministeriums ist die Dringlichkeit einer historischen Auseinandersetzung mit Fragen der Politik und Macht gegeben. Doch welcher Aspekt ist naheliegend?

Arbeit und Soziales     In dem Entwurf der sechs Wandbilder erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Sozialgeschichte und der Geschichte der Arbeit in den letzen 200 Jahren bis in die aktuelle Gegenwart (siehe Themenplan). Nicht eine geschichtliche Vollständigkeit war die Absicht. Vielmehr wurde eine aspekthafte Fokussierung auf Ereignisse in der Geschichte vorgenommen, wann die Dispositionen der Arbeit und des Sozialen eine besondere Dringlichkeit erfahren haben.

Kapitul      Der Titel Kapitul ist ein künstlicher Begriff. Seine Konnotationen sind u.a. Kapital, Kapitel, Kapitol, Kapitulation und Kapitell. Die jeweiligen Neuformatierungen der Arbeit und des Sozialen in den geschichtlichen Prozessen sind häufig aus der konfrontativen Auseinandersetzung mit dem Kapital entstanden. Die eine Seite wollte die andere jeweils zur Kapitulation zwingen. Dies wird in sechs Kapiteln auf den sechs Wänden aufgerufen.

Kippen      Das gesamte linke bzw. rechte Wandbild scheint je insgesamt über fünf Stockwerke seine Bildfläche zu verlassen und sich teilweise bereits ausserhalb des ihm zugewiesenen Ortes zu befinden. Das gesamte linke und rechte Wandbild stellt sich je als wie von seiner Grundfläche weggezogen dar. Durch das „Wegziehen“ des Bildes nach vorne unten wird die weisse Wand der Grundfläche sichtbar, auf dem es sich eigentlich befinden müsste. Dadurch verbreitert sich das Wandbild je nach oben. Im Bildbereich ergibt sich so die schräge Bildkante auf der Wand. Entsprechend kippt die gesamte Motivlage im Bildbereich entlang dieser Schräge.

Architektur      Beide Bilder rutschen parallel zueinander von der Wand ab. Sie haben dieselbe Schräglage, dieselbe Form und dieselbe Position auf der Wandfläche eingenommen. Durch ihr gleiches Verhalten des Abrutschens spannen sie eine Verbindung durch das Gebäude und stellen über den Raum hinweg eine symmetrische Beziehung zueinander her. Sie spannen zwischen sich einen imaginären Raum auf. Da die linke und die rechte Bildfläche über fast alle Stockwerke des Gebäudes reichen, nimmt die gemeinsame Bewegung des Abgleitens der Bildflächen die innere Logik der Architektur auf. Die Lage der Bildflächen öffnet eine bewusste Sicht der Architektur.

Digitalität      Der Rechner wird als Simulationsmaschine verstanden. Um Simulationen zu enttarnen werden Funktionsweisen des Computers dysfunktionalisiert. In Grafikprogrammen wird die digitale Maschine durch Überstrapazierung zur algorithmischen Fehlfunktion getrieben. So wird die Differenz aus Simulierendem und Simuliertem provoziert. Im absturznahen Bereich des Rechners werden die visuellen Ergebnisse von algorithmischen Verrechnungen gesammelt. Dieses visuelle Material aus Rechenfehlern wird am Computer collagiert und ausgedruckt, um dann mit manueller Malerei kontrastiert zu werden. Die digitale Struktur der bildnerischen Vorlage wird deutlich erkennbar gemacht. Pixelstrukturen und Vektorisierungen werden je nach Abstand deutlich sichtbar, wodurch das Motiv in seine Teile zerfällt und sich als digitale Struktur zeigt. Ausgedruckt werden die Ergebnisse per Transfer auf die Wand gebracht.

Sondierungen      Der Begriff Sondierung ist aus der Restauratorentechnik entlehnt. Dabei werden in einer rechteckigen Form auf der Wand Schichten der Wandfarben abgetragen, um den historischen Farbaufbau zu ermitteln. Diese Technik ist für die vorliegenden Wandarbeiten künstlerisch angeeignet worden. Alle sechs Bildbereiche haben eine verschiedene Farbtönung. In jedem dieser Bildbereiche sind andersfarbige Rechtecke eingelagert. Hier wurde an der Stelle der Sondierung unter dem sichtbaren Wandbild bereits ein anderes Wandbild gemalt. Dieses wurde per Sondierung wieder freigelegt (siehe Materialprobe). In jedem Bildbereich wird auf zeitlich vorausgehende, historische Wandbereiche (Farben) per Sondierung verwiesen. Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Wandbereichen werden hergestellt. Die je historischen Zeiten zeigen sich als Gründe, Ursachen, Wiederholungen oder Analogien der Zeit, aus der heraus sie sondiert werden.

Zeitirritation      Die Transfertechnik, die in den Wandbildern angewandt wird, ermöglicht die Setzung einer patinaartigen Oberfläche. Das Ministerium ist ein Neubau. Hier mit freskoartigen Wandbildern zu arbeiten, die nicht nur historische Themen bearbeiten, sondern auch durch ihre visuelle, patinaartige Erscheinung historisch wirken, führt zu einer Zeitirritation, in der die Wandbilder älter scheinen als die Wände, die sie tragen. Beim näheren Betrachten zeigt sich aber eine digitale Bildstruktur. Durch den Transfer wird eine digitale Struktur als eine historisierende, patinaartige Schicht aufgebracht. Dieser gleichzeitig auf digitale Zukunft und analoge Vergangenheit verweisende visuelle Eindruck führt zu einer Zeitirritation.

Gegenwart      Sechs verschiedene Zeiten werden in den sechs Bildbereichen aufgerufen. Es ist naheliegend den historischen Zeiten eine Patina zu geben - aber auch der Bereich der Gegenwart wird mit einer Patina gemalt. Dadurch wird die Gegenwart historisiert. Die zeitliche Perspektive einer Betrachtung aus der Zukunft wird suggeriert. Dies relativiert eine Betroffenheit durch gegenwärtige Prozesse und ordnet sie ein in die grosse Linie einer durch die Zeiten laufenden Auseinandersetzung, der sich ein solches Ministerium verpflichtet fühlt. Andererseits zeigt es, dass in jedem kleinen Detail aktueller Entscheidungen Einzelner eine Auseinandersetzung ausgetragen wird, deren Anbindungen weit jenseits der Gegenwart liegen und von dort eine Verantwortung in die Gegenwart zu jedem ministerialen Mitarbeiter tragen. Es ist eine Auseinandersetzung älter als das Ministerium selbst, der das Ministerium zudem seine Existenz zu verdanken hat, indem sie vor fast 100 Jahren zu seiner Gründung geführt hat.